Freitag, 17. Juli 2015

Augenblick




Augenblick

Ein Weiser wurde gefragt, wie es gelingen könnte, den Augenblick voll auszukosten, um etwas davon festhalten zu können. Schließlich sei der Augenblick wertvoll und unwiederbringlich, dass niemand ihn einfach so entschwinden lassen könne.
„Was denkst du“, fragte der Weise den Fragesteller, „wenn du versuchst, den Augenblick festzuhalten?“
„Ich denke: Jetzt!“, antwortete dieser. „Und dann?“, fragte der Weise. „In dem Moment, in dem ich: Jetzt! denke, ist er auch schon vorbei und ich habe nichts mehr davon. Festhalten kann ich nichts.“
„Du hast recht“, erwiderte der Weise. „In dem Moment, in dem du: Jetzt! denkst, ist das Jetzt schon vorüber. Jetzt! sagen nützt gar nichts.“
„Aber was soll ich tun?“ fragte der andere. „Ganz gleich, was ich denke, es ist sofort verflogen.“
„Du täuschst dich“, sagte der Weise. „Ich will dir ein Geheimnis anvertrauen. Versuch es einmal ganz anders: Atme tief ein und tief aus. Höre auf den Schlag deines Herzens. Denk in aller Ruhe an einen Menschen, den du liebst und erinnere dich an eine Freude, die er dir gemacht hat. Und dann sag ganz einfach und ruhig: „Ja“. In diesem kleinen „Ja“ kostest du den gegenwärtigen Augenblick voll aus. Viele vergangene Augenblicke und viele Augenblicke, die noch kommen werden. Das kleine „Ja“ verfliegt nicht wie das flüchtige „Jetzt!“ Es bleibt bei dir. Das kleine „Ja“ ist stärker als die Zeit. Es hat Teil an dem, was nicht vergeht.“
Der Weise lächelte: „In jedem "Ja" wohnt ein Augenblick Ewigkeit.“

- Annette Soete -

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