Samstag, 23. Mai 2015

Grausteingrau




Grausteingrau


Es war einmal ein Stein. Er war grau und klein. Er hieß Grausteingrau. Er war ein schweigsamer  Stein. Er hauste zusammen mit vielen anderen Steinen in einer Felswand.

Eines Tages fiel er von seinem Felsvorsprung und rollte weit weit hinunter, über eine grüne Wiese, bis in einen Wald. Da blieb er im Moos liegen.
Hier war es angenehm. Das Moos war weich, anders als in der schroffen Felswand inmitten der anderen Steine. Im Moos war es warm, und hier war es nicht so stürmisch wie in der Felswand. Also blieb Grausteingrau im Moos liegen.

Tagein tagaus blickte er in den Himmel.
'Mmmh, blauer Himmel heute', dachte Grausteingrau. Aber er sagte nichts, denn er war ein schweigsamer Stein.
'Mmmh, Wolken heute', dachte Grausteingrau.
Neben dem Himmel konnte Grausteingrau die Felswand sehen. Die einzelnen Steine in der Felswand konnte er nicht sehen. Denn er war selbst ein Stein, und Steine haben kein Fernglas. 
'Mmmh, Regen heute', dachte Grausteingrau. Aber er blickte immer seltener in den Himmel. Immer häufiger war es die Felswand nebenan, die er betrachtete. Nicht den Wald, nicht die grüne Wiese. Und wenn er die Stirn runzeln könnte, dann hätte Grausteingrau die Stirn gerunzelt. Denn je länger er im Moos lag, desto größer wurde seine Sehnsucht, wieder in seine Felswand zurückzukehren. Aber er war ein Stein, und Steine können nicht die Stirn runzeln.



Im Moos war es weich. Aber Grausteingrau bedeutete es bald nichts mehr, im Weichen zu liegen. Und es bedeutete ihm nichts, im windgeschützten Wald zu liegen. Selbst die grüne Wiese stimmte ihn nicht heiter. Denn er selbst war ja ein harter und kalter Stein.
Und obwohl Grausteingrau noch immer ein schweigsamer Stein war, wuchs sein Verlangen, neben den anderen Steinen in der Felswand zu lagern. So wie früher. Nicht hier im Grünen, wo nichts war wie er.

(Autor unbekannt)


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen